Ein gutes Interview mit einer Autorin zu führen heißt für mich: neugierig bleiben, Raum schaffen und gleichzeitig eine Bühne bauen, auf der überraschende Perspektiven sichtbar werden. Es geht nicht darum, nur Antworten abzuhaken, sondern Verbindungen zu knüpfen, die der Leserin oder dem Leser neue Einsichten ermöglichen. In diesem Text teile ich meine Herangehensweise, Techniken und kleine Rituale, die mir geholfen haben, Gespräche zu führen, die mehr zeigen als Biografie und Klappentext.

Vorbereitung: mehr als nur Recherche

Bevor ich mich hinsetze, um Fragen zu formulieren, sammle ich drei Ebenen von Wissen:

  • Fakten zur Autorin: Lebenslauf, bisherige Publikationen, Auszeichnungen.
  • Werkbezogene Analyse: Themen, wiederkehrende Motive, Form- und Stilmittel.
  • Kontext: literarische Debatten, gesellschaftliche Themen, in denen das Werk steht.
  • Ich nutze dafür klassische Quellen (Verlagsseiten, frühere Interviews, Rezensionen) und vertraue ebenso auf weniger offensichtliche Spuren: Social-Media-Posts, Lesungs-Videos, Pressetexte. Ein persönliches Notizbuch (oft ein Moleskine) hilft mir, Gedankenfetzen zu sammeln. Wichtig: Ich vermeide es, meine Fragen mechanisch auswendig zu lernen. Vorbereitung ist mein Gerüst, nicht mein Skript.

    Eröffnungsfragen, die mehr als Fakten liefern

    Viele Leserinnen fragen mich, wie man aus einem Interview mehr als die Standardbiografie gewinnt. Mein Trick: Ich beginne selten mit den offensichtlichen Fragen. Anstatt "Wann haben Sie angefangen zu schreiben?" frage ich lieber:

  • "Gibt es einen Duft oder einen Ort, der für Sie immer mit dem Beginn eines Textes verbunden ist?"
  • "Welches Geräusch mögen Sie beim Schreiben – und welches lenkt Sie ab?"
  • Solche Sinnesfragen laden zu konkreten Bildern ein. Autorinnen geben oft Antworten, die nicht im Lebenslauf stehen, weil Sprache hier weniger geschützt wirkt. Sie bringen eine Erinnerung ins Spiel, die das Gespräch emotional öffnet.

    Offene, nicht suggestive Fragen

    Offenheit ist zentral: Ich formuliere Fragen so, dass sie mehrere Wege zur Antwort lassen. Statt zu fragen: "Ist Ihr Roman ein feministisches Buch?" frage ich: "Welche Gesprächspartner*innen würden Sie sich wünschen, wenn Ihr Buch eine Debatte eröffnet?" Damit zwinge ich niemanden in ein politisches Label, gewinne aber Einblicke in Intention und Diskurs.

    Die Kunst des Nachhakens

    Das eigentliche Interview wird in den Nachfragen gemacht. Ich habe mir angewöhnt, drei Arten von Nachfragen parat zu haben:

  • Explorativ: "Was meinen Sie genau, wenn Sie schreiben '...'?"
  • Kontextualisierend: "Wie hat dieses Ereignis Ihre Arbeitsweise verändert?"
  • Konfrontativ, aber respektvoll: "Einige Leser*innen sehen in Ihrem Werk 'X' – wie begegnen Sie dieser Lesart?"
  • Nachfragen zeigen, dass ich zuhören. Sie wecken oft unerwartete Anekdoten oder eine Selbstreflexion, die das Porträt vertieft.

    Atmosphäre schaffen – technisch und zwischenmenschlich

    Eine entspannte Atmosphäre ist Gold wert. Ich achte deshalb auf einfache Dinge:

  • Ort: Ruhiger Raum, lieber Café mit separatem Bereich als lauter Veranstaltungsort.
  • Technik: Ein zuverlässiges Aufnahmegerät wie das Zoom H6, ein gutes Lavalier-Mikrofon und Ersatzbatterien. Ich teste alles vorher.
  • Verpflegung: Wasser, manchmal Tee — kleine Gesten senken die Anspannung.
  • Beim ersten Blickkontakt stelle ich nie sofort das Aufnahmegerät an. Ein kurzes Gespräch vorab, ein ehrliches "Darf ich aufnehmen?" schafft Vertrauen und formale Klarheit. Rechtliche Notiz: In Deutschland ist die Einwilligung zur Aufnahme wichtig — ich hole sie schriftlich oder per E-Mail ein, wenn möglich.

    Zwischentöne suchen: Stil, Rhythmus, Pausen

    Autoren sprechen oft in Bildern. Ich achte auf ihren sprachlichen Rhythmus: Verwenden sie viele Metaphern? Sprechen sie langsam? Pausen sind kein Vakuum, sondern Einladung. Wenn eine Antwort endet und Stille bleibt, dränge ich nicht sofort. Häufig fügt die Autorin nach einer Pause noch etwas Entscheidendes hinzu.

    Live-Elemente und Experimente

    Manchmal baue ich kleine Experimente ein: Ich bitte die Autorin, eine Passage laut zu lesen oder einen Gegenstand zu beschreiben, ohne ihn zu benennen. Solche Übungen öffnen andere Ebenen des Sprechens und sind besonders nützlich, wenn das Werk autobiografische Bezüge hat. Auch das Arbeiten mit Textausschnitten – "Darf ich Ihnen diesen Absatz vorlesen?" – kann eine spannende Reaktion provozieren.

    Transparenz und Grenzen

    Ich bin offen darüber, wofür das Interview verwendet wird. Wenn eine Frage zu persönlich ist, formuliere ich sie behutsam um oder biete an, sie später per E-Mail zu stellen. Respekt vor Grenzen schafft Vertrauen — und oft öffnen sich Gesprächspartnerinnen später eher, wenn sie wissen, dass etwas nicht publik werden muss.

    Editing: was hinein, was bleibt draußen

    Beim Schnitt denke ich an den Lesefluss. Ein Interview muss nicht das Protokoll sein; es darf eine erzählerische Struktur bekommen. Ich behalte den Ton und die Intention der Aussagen bei und strebe danach, Zitate nicht zu entstellen. Meine Praxis ist, größere inhaltliche Veränderungen mit der Autorin abzusprechen — vor allem bei sensiblen Themen.

    Was Leser*innen wirklich wollen

    Leserinnen suchen oft nach zwei Dingen: Einem Zugang zum Werk und einer Person hinter dem Werk. Ich versuche, beides zu liefern. Fragen wie "Welche Bücher lesen Sie gerade?" sind zwar Standard, helfen aber, die Autorin als Leser*in zu zeigen. Wesentlich sind aber jene Momente, in denen die Autorin über Scheitern, Zweifel oder überraschende Quellen spricht — das macht Perspektiven sichtbar.

    Praktische Checkliste für ein Interview

  • Recherche: 3 Ebenen (Fakten, Werk, Kontext).
  • Techniktest: Aufnahmegerät + Backup.
  • Eröffnung: sinnliche oder narrative Einstiegsfrage.
  • Nachfragen: explorativ, kontextualisierend, respektvoll konfrontativ.
  • Pausen zulassen und lesen lassen.
  • Transparenz über Verwendung und Rechte.
  • Schnitt: Intention bewahren, Form erzählerisch ordnen.
  • Ich habe Interviews geführt, die zuerst zäh begonnen und dann durch eine einzige, ungeplante Frage in eine völlig neue Richtung kippten. Das ist das Geheimnis, das ich oft nenne: Nicht jede gute Frage ist geplant. Manchmal ist sie das Produkt von Zuhören, Mut zum Schweigen und der Bereitschaft, den roten Faden zu verändern. So werden beim Gespräch mit einer Autorin nicht nur Fakten sichtbar, sondern Einfälle, Zweifel und die leisen Wege, auf denen Literatur Wirklichkeit transformiert.