Hörstücke, die zwischen Pop und Experiment pendeln, haben für mich etwas zutiefst Verführerisches: sie sind vertraut genug, um mich sofort abzuholen, und doch überraschend genug, um meinen Blick auf Klang neu zu schärfen. In diesem Text erzähle ich, wie solche Arbeiten entstehen — aus welchen Zutaten, Prozessen und Kooperationen — und wo ich sie selbst am liebsten suche und entdecke.

Was meine ich mit "Hörstück" zwischen Pop und Experiment?

Für mich sind Hörstücke nicht einfach Songs oder Klanginstallationen; sie bewegen sich in der Grauzone. Pop liefert Struktur, Melodie, Hook — Elemente, die direkt funktionieren. Experiment bringt Formbrüche, Texturen, unerwartete Produktionsentscheidungen oder konzeptionelle Konzepte mit ein. Kombiniert entstehen Werke, die zugänglich bleiben, aber gleichzeitig Fragen stellen: Was ist Song, was ist Soundkunst? Wie lange darf ein Refrain sein, bevor er zur Schleife oder zum Loop wird?

Die Zutaten: Klangquellen und Werkzeuge

Bei der Entstehung solcher Hörstücke gibt es typische Bestandteile, die sich je nach Projekt unterschiedlich gewichten:

  • Field Recordings – Straßenlärm, Vogelsang, Fabrikgeräusche; ich benutze dafür oft Zoom- oder Tascam-Recorder.
  • Analoge und digitale Synthesizer – von einem alten Korg bis zu modularen Eurorack-Modulen.
  • Stimmen – geschriebene Lyrics, gesprochene Texte, vokale Fragmente, die nicht unbedingt "gesungen" werden.
  • Samples – gefundenes Material, plattenschnipsel, YouTube-Ausschnitte.
  • DAWs und Processing – Ableton Live, Reaper, Logic, kombiniert mit Max/MSP, Pure Data oder Plugins wie iZotope, Valhalla Reverb.
  • Akustische Instrumente – Gitarren, Klavier, Streichinstrumente, die oft unerwartet behandelt werden (z. B. Präparate, Dämpfung, E-Bow).
  • Ein kleiner Tisch mit Tools, die sich häufig wiederfinden:

    Werkzeug Wofür ich es nutze
    Zoom H5 Fieldrecordings, Interviews
    Ableton Live Arrangements, Live-Performances, Loops
    Max/MSP Granularsynthese, benutzerdefinierte Klangmanipulation
    Modulares System (Eurorack) Texturen, CV-getriebene Modulation

    Arbeitsprozess: Von der Idee zum Film im Kopf

    Mein Prozess beginnt selten mit dem Ziel, einen "Song" zu schreiben. Vielmehr ist es eine akustische Neugier: Eine Aufnahme eines Marktplatzes, eine Melodie, die mir im Kopf bleibt, oder ein Textfragment können der Auslöser sein. Ich sammle zuerst Material — oft in chaotischer Reihenfolge — und lege es auf einem "Sample-Stapel" ab.

    Die nächste Phase ist das Experimentieren: Ich lade ein Field Recording in Ableton, pitch-e es ein wenig, schneide Fragmente heraus, schleife eine Phrase bis sie hypnotisch wird. Manchmal baue ich um eine Hook herum einen konventionellen Pop-Aufbau auf: Intro, Strophe, Refrain — aber ich breche ihn mit ungewöhnlichen Übergängen, Stille oder plötzlich auftauchenden Geräuschen auf.

    Wichtig ist mir die Balance: Wenn etwas zu konzeptuell ist, verliert es die emotionale Zugänglichkeit; ist es zu poppig, geht die Überraschung verloren. Deshalb arbeite ich oft kollaborativ: eine Stimme, ein Produzent mit Elektronik-Hintergrund, ein Instrumentalist, der Free-Jazz-Elemente beisteuert. So entstehen Spannungsfelder, die ein Hörstück lebendig machen.

    Formale Mittel: Was macht es "experimentell"?

    Typische Strategien, die ein Stück aus dem Pop-Rahmen lösen, sind:

  • Heterotope Strukturen: Kein klarer Refrain, stattdessen wiederkehrende Texturen.
  • Nonlineares Timing: Tempowechsel, polymetrische Passagen oder fließende Übergänge.
  • Unkonventionelle Klangquellen: kaputte Radios, Spielzeuginstrumente, präparierte Klaviere.
  • Konzeptuelle Eingriffe: Texte, die als Collage aus unterschiedlichsten Quellen komponiert sind.
  • Performance und Raum: Wie das Stück lebt

    Viele Hörstücke entfalten sich erst im Raum. Ich habe Stücke erlebt, die im Club völlig anders wirkten als im Museum, und Radiostücke, die allein durchs Kopfkino lebendig wurden. Manchmal ist das Medium entscheidend: eine Studioaufnahme, ein radiophones Hörspiel, eine Live-Installation oder ein Konzert mit improvisierten Elementen.

    Wo finde ich solche Hörstücke?

    Meine Entdeckungsorte sind vielseitig — hier eine Liste mit meinen wichtigsten Quellen und warum ich sie mag:

  • Bandcamp – großartige Plattform für unabhängige Musiker*innen; gute Tags (post-pop, experimental, sound art) helfen bei der Suche.
  • SoundCloud – oft frühe Veröffentlichungen, Remixe und DJ-Sets, die Grenzen ausloten.
  • Netlabels und spezialisierte Labels – z. B. Warp Records (Experiment im Pop-Kontext), Erased Tapes (neoklassische, experimentelle Töne), Sub Rosa (sound art, field recordings).
  • Radioformate – Lokale Kulturwellen und internationale Sender (BBC Radio 3, Deutschlandfunk Kultur) bringen kuratierte Hörstücke und Features.
  • Podcast- und Radioplattformen – Mixcloud, NTS, Resonance FM: DJs und Kurator*innen zeigen oft spannende Grenzgänger.
  • Festivals und Veranstaltungen – CTM (Berlin), MaerzMusik (Berlin), Sonar (Barcelona), sowie lokale Artevents und Klangfestivals.
  • Kulturinstitutionen – Museen und Galerien veranstalten oft Klanginstallationen; Theaterkollektive produzieren Hörstücke als Erweiterung ihrer Stücke.
  • Tipps fürs Entdecken und Zuhören

  • Hör aktiv: Schalte Ablenkungen aus und lass ein Stück einmal ohne Bewertung auf dich wirken.
  • Suche nach Kurator*innen: Playlists von Radiosendern oder Mixes von Produzent*innen öffnen oft neue Türen.
  • Folge Labels statt Genres: Ein Label hat eine Klangästhetik, die dich interessieren könnte.
  • Besuche lokale Proberäume, Kleinstbühnen und Radiostationen – manches, was später groß wird, hörst du zuerst live in einem kleinen Raum.
  • Wenn ich heute auf neue Hörstücke stoße, lasse ich mich meist zuerst vom Sounddesign fesseln — eine ungewöhnliche Textur, eine verzerrte Stimme — und erst dann von Melodie oder Text. Genau diese Kombination aus Eingängigkeit und Dissonanz macht die Arbeit so spannend: Man kann sie immer wieder neu entdecken, je nachdem, wie aufmerksam man zuhört.