Wie übersetzt man ein literarisches, bildgewaltiges Buch für ein breites Publikum?
Wenn ich an die Herausforderung denke, ein bildgewaltiges Werk in eine andere Sprache zu übertragen, kommt mir immer ein Satz in den Sinn: Übersetzen heißt, Brücken bauen. Aber welche Art von Brücke braucht ein Buch voller Metaphern, Klangräume und kultureller Anspielungen, damit es für ein großes Publikum zugänglich bleibt, ohne seine Seele zu verlieren?
Zwiespalt zwischen Treue und Lesbarkeit
Die erste Falle ist die Idee der Wörtlichkeit. Viele denken, Übersetzen sei ein punktgenaues Eins-zu-eins-Übertragen von Wörtern. In der Praxis aber stolpert man damit über Bildfolgen, die im Zielpublikum seltsam, sperrig oder schlicht unverständlich wirken. Auf der anderen Seite steht die Versuchung, zu freizügig zu adaptieren: Wenn man zu viel „modernisiert“, läuft man Gefahr, den Ton des Originals zu verlieren.
Ich wähle deshalb meist einen mittleren Weg: Ich bewahre die zentralen Bilder und die rhythmische Gestalt des Textes – die „Musik“ der Sätze – und setzte dort an, wo kulturelle Lücken oder stilistische Brüche Leserinnen und Leser aus dem Fluss reißen könnten. Das ist weniger ein technischer Akt als ein ästhetischer Entscheidungsprozess.
Wie man die Bildsprache bewahrt
Ein bildgewaltiger Text lebt von Metaphern, Synästhesien und ungewöhnlichen Vergleichen. Meine Arbeit beginnt mit einer Inventur: Welche Bilder sind zentral? Welche sind schmückend? Einige Vorgehensweisen, die mir geholfen haben:
- Hierarchie der Bilder: Ich markiere die wiederkehrenden Bilder und jene, die die Handlung oder die Stimmung tragen. Diese dürfen nicht verwässert werden.
- Ästhetische Äquivalente suchen: Manchmal funktioniert ein Bild im Französischen oder Englischen wegen einer bestimmten Konnotation. Dann suche ich ein deutsches Bild mit ähnlicher Wirkung – nicht unbedingt wortwörtlich, aber stimmlich.
- Rhythmus und Klang beachten: Gerade bei längeren, verschlungenen Sätzen ist der Klang wichtig. Ich lese laut und vergleiche die Klangwirkung. Tools wie DeepL oder CAT-Tools helfen bei der Konsistenz, aber sie ersetzen nicht das Ohr.
Den breiten Leserkreis im Blick behalten
Ein „breites Publikum“ heißt für mich nicht: banal oder vereinfacht. Es heißt vielmehr: zugänglich ohne Elitarismus. Praktische Schritte:
- Kontextualisierung innerhalb des Textes: Wenn ein kultureller Verweis droht, Lesende zu verlieren, versuche ich ihn durch leichte sprachliche Umschmiedungen zu erläutern. Das darf nicht wie ein Fußnoten-Monolog wirken, sondern organisch in den Satzfluss eingewoben sein.
- Varianz statt Vereinfachung: Ein breites Publikum besteht aus unterschiedlichen Leserfahrungen. Ich variiere Sprachregister innerhalb des Romans, damit es Felder für diverse Lesetypen gibt – ohne die Stimme zu fragmentieren.
- Leserführung durch Rhythmus: Kürzere Sätze an Stellen, die Spannung aufbauen; längere, verschachtelte Konstruktionen, wenn es um Atmosphären geht. So bleibt das Lesen flüssig.
Der Umgang mit Idiomen und kulturellen Referenzen
Idiomatik ist oft das Minenfeld. Manche Redewendungen lassen sich nicht übertragen. Eine kleine Auswahl meiner Strategien:
- Lokalisieren: Manchmal ersetze ich eine fremde Redensart durch eine deutsche, die dieselbe Funktion erfüllt.
- Transparenz: Wenn ein Begriff wichtig für den Sinn ist, aber erklärungsbedürftig, baue ich eine kurze Umschreibung ein, die den Lesefluss nicht abwürgt.
- Fußnoten sparsam nutzen: In literarischen Texten können Fußnoten störend sein. Ich verwende sie nur, wenn eine Erläuterung unverzichtbar ist – ansonsten bleibe ich im Text.
Stimme, Ton und Erzählerperspektive
Die Stimme des Autors ist das empfindlichste Gut. Bei Prosa mit starker sprachlicher Identität setze ich Prioritäten: Bewahre ich die Ironie? Die Lakonie? Den lyrischen Überschwang? Dazu gehört auch, die Typographie, Satzmelodie und sogar interpunktionelle Entscheidungen zu respektieren.
Ein Trick, der sich bewährt hat: Ich schreibe zuerst eine „freie“ Version, in der ich mich auf die Bilder und den Sinn konzentriere. Danach gehe ich zurück und poliere den Satz für Satz-Ton – so finde ich oft eine Balance zwischen treuer Nachbildung und natürlichem Deutsch.
Praktische Tools und Routinen
Technologie ist hilfreich, ersetzt aber nicht das literarische Urteilsvermögen. Meine Toolbox:
- CAT-Tools wie MemoQ oder Wordfast für Konsistenz bei wiederkehrenden Termini.
- Digitales Notizbuch (z. B. Obsidian oder einfache Google Docs) für Bild- und Motivlisten.
- Text-to-Speech: Ich lasse Abschnitte vorlesen, um Rhythmusfehler zu entdecken.
- Parallellesen: Ich vergleiche mehrere Übersetzungen ähnlicher Werke – nicht zum Kopieren, sondern zum Kalibrieren des Tonfalls.
Zusammenarbeit mit Autorinnen, Lektorinnen und Lektorinnen
Wenn möglich, suche ich den Dialog mit der Autorin oder dem Autor. Direktes Feedback klärt, welche Bilder bewusst provokant sind und welche ersetzbar. Bei toten Autorinnen (oder wenn keine Kontaktmöglichkeit besteht) arbeite ich eng mit Lektorinnen und Lektoren, um Intentionen zu rekonstruieren.
Wichtig ist auch das Testlesen: Probeleserinnen aus unterschiedlichen Leserschichten geben Aufschluss darüber, wo Verständnishürden liegen. Auf Generation Konji habe ich oft Rückmeldungen aus der Leserschaft eingebracht, die überraschend aufschlussreich waren.
Beispiele aus der Praxis
Ein konkretes Beispiel: In einem Roman, den ich übersetzt habe, nutzte die Autorin immer wieder das Bild einer „leuchtenden Straße“ als Synonym für Erinnerung. Wörtlich übersetzt hätte das Symbol im Deutschen holprig und klischeehaft gewirkt. Also habe ich die Metapher gestaffelt: An manchen Stellen blieb „leuchtende Straße“, an anderen wurde sie durch verwandte Bilder ergänzt (Glühwürmchen, Laternen, brennende Plakatwände), sodass sich ein Netz von Assoziationen ergab, das im Deutschen ebenso stark funktionierte.
Ein anderes Mal musste ich eine lokale, fast unübersetzbare Küchenmetapher ersetzen: Statt das genaue Gericht zu nennen, das nur Lesenden einer bestimmten Region etwas sagte, beschrieb ich die sensorische Wirkung—Gerüche, Konsistenz, Ritual—und brachte so die emotionale Bedeutung rüber.
Lesen als Vorbedingung
Schließlich: Übersetzen heißt, das Buch zu lesen – nicht nur zu überarbeiten. Ich lese den Roman mehrmals, halte Passagen, die mir beim ersten Lesen wie Lücken vorkamen, zurück, bis ein konsistentes Bild entsteht. Meine Übersetzungen profitieren davon, dass ich nicht nur Wörter, sondern Atmosphären, Soufflesen und Zwischentöne mitbringe.
Die Aufgabe, ein bildgewaltiges Buch für ein breites Publikum zu übersetzen, ist also weniger eine Frage von Technik als von Haltung: Respekt vor dem Original, Empathie mit den Leserinnen und Lesern, und der Mut, künstlerisch zu entscheiden. Jedes Bild ist ein Wagnis — und manchmal ist gerade das Risiko der Grund, warum ein übersetztes Buch lebendig bleibt.