Filmrezensionen sollen informieren, einordnen und im besten Fall Lust machen — oder eine ehrliche Warnung aussprechen. Für mich liegt die Herausforderung darin, fair zu bleiben und zugleich die eigene Stimme nicht zu verstecken. In diesem Text teile ich meine persönliche Herangehensweise: wie ich mich auf einen Film vorbereite, welche Fragen ich mir stelle, wie ich Konflikte zwischen sachlicher Analyse und subjektiver Reaktion löse und welche formalen Entscheidungen ich beim Schreiben treffe.
Vor dem Schreiben: Sehen, notieren, kontextualisieren
Bevor ich überhaupt den ersten Satz formuliere, sehe ich den Film möglichst unvoreingenommen — idealerweise in einem Kino, manchmal im Festivalrahmen, manchmal auf einer Streamingplattform wie Netflix oder MUBI. Während des Films mache ich mir Notizen: Momente, die mir im Gedächtnis bleiben, Formulierungen, die ich später überprüfen will, zentrale Figuren und überraschende Entscheidungen der Regie. Diese Notizen sind roh und persönlich; sie dienen als Rohmaterial.
Nicht zu unterschätzen ist die Kontextarbeit nach dem Sehen. Ich schaue mir an, wer das Drehbuch geschrieben hat, welche Produktionsgeschichte es gibt, ob der Film Teil eines festen Kanons ist (zum Beispiel ein neuer Beitrag eines etablierten Autorenfilms) oder als Debüt auftaucht. Für Hintergrundinfos nutze ich Quellen wie IMDb, Festivalseiten, Interviews mit Regisseur*innen oder Schauspieler*innen und manchmal Pressehefte. Das macht meine Rezension nicht weniger subjektiv — aber fundierter.
Balance zwischen Objektivität und Persönlichkeit
Ich beginne meine Texte oft mit einer klaren subjektiven Beobachtung: Ein kurzer persönlicher Eindruck, ein Bild oder eine Emotion, die beim Zuschauen dominierte. Das gibt dem Leser sofort einen Zugang. Gleichzeitig schiebe ich dann analytische Abschnitte nach, in denen ich formale Aspekte beleuchte: Erzählstruktur, Montage, Kameraarbeit, Sounddesign, Schauspiel und Tonalität. Mir ist wichtig, diese Aspekte mit Beispielen zu belegen, statt bloßer Behauptungen.
- Beispiel statt Generalisierung: Statt zu schreiben „die Kameraarbeit ist schlecht“, beschreibe ich eine Szene: „In der langen Verfolgungssequenz setzt die Kamera auf wackelnde Handkameraperspektiven, die Nähe zur Figur herstellen, aber gelegentlich die Orientierung erschweren.“
- Konkret und nachvollziehbar: Wenn ich negative Punkte anspreche, nenne ich konkrete Momente und erkläre, warum sie für mich nicht funktionieren.
Spoiler-Politik: Wann verraten, wann verschweigen?
Spoiler sind ein heikles Feld. Ich frage mich immer: zerstöre ein Detail die Grundspannung oder ist es notwendig, um meine Analyse zu führen? In der Regel vermeide ich Spoiler im einführenden Teil der Kritik. Für tiefere Analysen markiere ich Spoiler klar mit einem Hinweis, damit Leser*innen entscheiden können, weiterzulesen. Auf meinem Blog verwende ich manchmal einen expliziten Spoiler-Abschnitt, den ich mit einem Warnhinweis einleite.
Wie viel Kontext ist nötig?
Manche Filme profitieren von historischem oder biografischem Kontext; andere wollen alleine stehen. Ich versuche, den Kontext so sparsam wie möglich einzubauen — nur das, was das Verständnis verbessert. Wenn ich zum Beispiel eine Verknüpfung herstelle zwischen einem neuen Film und einem früheren Werk desselben Regisseurs, zeige ich kurz, welche Entwicklung erkennbar ist und verlinke auf weiterführende Texte oder Interviews.
Sprache und Ton: Klarheit statt Effekthascherei
Meine Sprache soll zugänglich sein, nicht akademisch hermetisch. Ich vermeide unnötige Fachbegriffe oder erkläre sie, wenn sie gebraucht werden. Gleichzeitig darf eine Filmkritik literarisch sein — Bilder und Metaphern helfen, einen Eindruck zu vermitteln. Wichtig ist, die Balance zu halten: Metaphern müssen die Lesbarkeit erhöhen, nicht die Verständlichkeit erschweren.
- Aktive Stimme: Ich schreibe meist in aktiver Form — das wirkt direkter und lebendiger.
- Kurze Sätze: Besonders bei der Beschreibung von Szenen funktionieren kürzere Sätze besser.
- Persönliche Einschübe: Ein „Ich“-Satz kann Autorität herstellen: „Für mich verliert der Film an Kraft, wenn…“
Bewertung und Ethik: Transparenz zeigen
Noten oder Sterne sind verführerisch, weil sie Orientierung liefern. Ich persönlich setze eher auf eine gewichtete Beschreibung: Ich nenne Stärken, Schwächen und für wen der Film funktionieren könnte. Wenn ich dennoch eine Punktzahl vergebe, erkläre ich kurz, was diese Zahl bedeutet. Transparenz ist mir wichtig: Wenn ich vorab über den Regisseur, Schauspieler*innen oder Produktionsfirmen informiert war, weise ich darauf hin. Ebenso offen lege ich eventuell vorhandene Frei- oder Pressetickets dar.
Beispiele aus der Praxis
Neulich schrieb ich über einen Arthouse-Film, dessen erzählerische Fragmente mich zunächst irritierten. Anstatt einfach „zu sperrig“ zu urteilen, habe ich eine Szene herausgegriffen, die exemplarisch für die fragmentarische Montage stand. Ich beschrieb, wie die Schnitte die emotionale Distanz zur Hauptfigur erzeugen und warum das für einige Zuschauer*innen befreiend, für andere frustrierend sein kann. Dieser konkrete Ansatz erhielt viel positives Feedback, weil Leser*innen nachvollziehen konnten, worauf ich hinaus wollte.
Interaktion mit Leser*innen
Eine gute Rezension endet nicht mit dem letzten Satz: ich lese Kommentare, beantworte Fragen und nehme manchmal Korrekturen an, wenn mir neue Informationen zugespielt werden. Leser*innen bringen oft Perspektiven mit, die ich nicht kannte — etwa kultur- oder generationsspezifische Interpretationen. Offenheit gegenüber dieser Dialogform macht meine Arbeit besser und die Diskussion reicher.
Praktische Struktur für eine Rezension
- Kurzer Lead (1–3 Sätze): persönlicher Eindruck und Orientierung (Genre, Regisseur, Laufzeit).
- Inhaltliche Zusammenfassung (ohne Spoiler): worum geht es grundsätzlich?
- Analyse der formalen Mittel: Regie, Drehbuch, Schauspiel, Kamera, Ton, Schnitt.
- Kontextualisierung: Einordnung in Werk- oder Genregeschichte, Produktionshintergrund.
- Abwägung: für wen ist der Film empfehlenswert? Welche Erwartungen sollte man haben?
- Optional: Kurzbewertung oder Hinweis auf weiterführende Quellen/Interviews.
Tools und Hilfsmittel
Für meine Arbeit nutze ich einfache Mittel: ein Notizbuch im Kino, ein Diktiergerät auf Reisen, und Zotero oder Evernote zum Sammeln von Links und Zitaten. Für Zitate aus Interviews verweise ich auf die Originalquelle oder verlinke auf das transkribierte Interview. Wenn ich Ausschnitte oder Bilder verwende, achte ich auf Bildrechte und gebe Quellen an — das ist besonders wichtig bei Veröffentlichungen auf Plattformen wie Generation Konji.
Eine faire, persönliche Filmkritik ist also kein Widerspruch: Sie verlangt Sorgfalt, Kontext und die Bereitschaft, die eigene Perspektive zu begründen. Meine Hoffnung ist, dass Leser*innen nach dem Lesen das Gefühl haben, nicht nur informiert, sondern auch eingeladen zu sein — zur eigenen Sicht auf den Film.